Hilft Hängen wirklich bei einem Schulter-Impingement?

Aushängen im Functional Training Studio an den Ringen

Kann man mit einfachem Hängen Schulterschmerzen – wie z.B. bei einem Schulterenge-Syndrom bzw. Schulter-Impingement (1) – loswerden und sogar eine Schulter-OP verhindern?

Genau das behauptet der Orthopäde, Dr. John Kirsch. In seinem Buch „Shoulder Pain? The Solution and Prevention“ (3) beschreibt er warum das so gut funktioniert. Er erläutert ausführlich, wie sich durch das Aushängen die schmerzverursachenden degenerativen Veränderungen in der Schulter rückgängig machen lassen.

Aber woher kommt eigentlich der Hype rund um das Hängen? Der ein oder andere von euch kennt wahrscheinlich die Ido Portal Hanging Challenge, bei der man für 30 Tage 7 Minuten täglich hängen soll. Dabei soll sich die Gesundheit der Schultern maßgeblich verbessern.

Was aber wenige wissen ist, dass die Ido Portal Hanging Challenge ihren Ursprung in dem Buch von Dr. Kirsch hat. Als ich 2015 auf dem Ido’s Movement X Workshop war, empfahl er Kirsch’s Buch Interessierten auch zur Vertiefung des Themas.

Hängen bei Schulter-Impingment

Überblick

1. Aushängen als Alternative zur OP

2. Was passiert mit deiner Schulter beim Hängen?

3. So hängst du richtig

4. Weitere Ursachen von Schulterbeschwerden

5. Weitere Informationen zum Hängen


1. Aushängen als Alternative zur OP

John Kirsch sieht das Hängen als eine wesentlich bessere Alternative zur Schulter-OP. Bei einer sogenannten „Subacromialen-Dekompressions-OP“ wird in der Regel Knochensubstanz und der darunter liegende Schleimbeutel abgefräst. Dadurch soll mehr Raum unter dem Schulterdach (Akromion) geschaffen werden. Durch bloßes Hängen kannst du, laut Kirsch, aber den selben raumvergrößernden Effekt erzielen. Das Beste dabei ist: Es bleiben alle beteiligten Strukturen intakt. Denn ein operativer Eingriff birgt nämlich immer Risiken und verursacht Narbengewebe, das nie wieder so belastbar sein wird wie unverletztes Gewebe. 


2. Was passiert mit deiner Schulter beim Hängen?

Das Coracoacromiale Ligament (CAL) wird gedehnt und geschmeidig gemacht, so dass der Oberarmknochen mehr Platz bei Überkopfbewegungen hat. Bei einer hohen Zugspannung des CAL kann sich ansonsten über die Jahre das knöcherne Schulterdach (Akromion) nach unten biegen und den Raum im Schultergelenk weiter verengen (2).

Dass das CAL gedehnt wird, wenn der Arm Überkopf geführt wird, weiß man bereits aus Experimenten an Leichen. Weiterhin konnte John Kirsch das auch in MRT-Aufnahmen zeigen.

Und das Beste: Alles bleibt heile ohne jegliche Narben. Gleichzeitig wird deine Brustwirbelsäule gestreckt, was gut gegen den Rundrücken ist.

Voraussetzungen für das Hängen:

Du solltest mit einer gewissen Leichtigkeit in der Lage sein deinen ausgestreckten Arm parallel zum Boden halten zu können. Wenn du das tun kannst, hast du dich für das Aushängen qualifiziert.

Was ist bei Verletzungen der Rotatorenmanschette zu beachten?

Die überwiegende Mehrzahl von Teilrupturen oder kompletten Abrissen der Rotatorenmanschettte werden durch ein Subakromiales Impingement verursacht (95%). Jedoch werden die Strukturen der Rotatorenmanschette beim Hängen selbst nicht belastet. Im Buch wird das mehrfach anhand von MRT-Aufnahmen demonstriert, die den Schulterkomplex beim Hängen zeigen.


3. So hängst du richtig

Die Hände zeigen nach vorne oder zueinander. Wenn es dir anfangs noch schwerfällt, kannst du deine Füße auf den Boden aufstellen und das Aushängen nur mit einer Teilbelastung ausführen. Du kannst die Zeit im Hängen auch erstmal auf 10 Sekunden limitieren und dich stückweise auf 30 oder sogar 60 Sekunden hocharbeiten.

Schaubild: Hängen von vorne und von der Seite

Umgang mit Schmerzen

Das Aushängen kann Anfangs weh tun. Immerhin dehnst du feste Strukturen auf, die deine Beschwerden verursacht haben. Aber wie Dr. Kirsch immer wieder betont, und er ist schließlich Orthopäde, der zum Hängen viele Untersuchungen gemacht hat, die Rotatorenmanschette kann dabei nicht verletzt werden. Der Schmerz sollte sich verflüchtigen (innerhalb von Sekunden bis weniger Minuten) sobald man die Position wieder verlässt. Manchmal vergeht der Schmerz auch bereits in den ersten Sekunden des Hängens. Jedoch ist nicht jedes Schmerzgefühl als negativ zu bezeichnen! Hinterfrage für dich, ob du gerade eine starke Dehnung spürst (das würde ich nicht als Schmerz sondern Dehnung bezeichnen) oder es wirklich ein Schmerz ist, der an eine Verletzung oder Überlastung erinnert. Genau die Entwicklung dieses Schmerzgefühls gilt es beim Hängen aufmerksam zu beobachten.

Tipp: Messe deinen Fortschritt

Stoppe die Zeit, die du schmerzfrei Hängen kannst und bewerte die Schmerzintensität. Anhand dieser Kennzahlen kannst du deinen Fortschritt messen. Wenn man sieht, dass es besser wird ist man eher motiviert am Ball zu bleiben. Und so könnte z.B. ein Fortschritt aussehen: In der ersten Woche kannst du nur 10 Sekunden am Stück Hängen und der Schmerz ist auf einer 8 von 10. Nach einer Woche kannst du bereits 15 Sekunden Hängen und der Schmerz ist eine 5 von 10. Außerdem verflüchtigt er sich vielleicht wesentlich schneller nach Beendigung des Hängens. Auf diese Weise kannst du für dich feststellen, ob sich die Schmerzen durch das Hängen verbessern oder diese schlimmer werden.

Wichtig: Bei Schulterschmerzen solltest du das Aushängen grundsätzlich erst nach einem ärztlich diagnostizierten Schulter-Impingement beginnen. Weiterhin solltest du dich versichern, dass bei dir keine weiteren Komplikationen vorliegen, die gegen das Hängen als therapeutische Übung sprechen.

Wie lange und oft soll man Hängen?

Dr. Kirsch empfiehlt das Hängen über eine 10- bis 15-minütige Zeitdauer auszuüben, wobei man kürzere Intervalle von 10-30 Sekunden ausführt, je nach eigenen Kraftvoraussetzungen. Wenn nötig, kann man auch 1-minütige Pausen ausführen. Das Hängen soll täglich ausgeführt werden. Auch wenn man kein Dehnungsgefühl oder Schmerz fühlt, entfaltet das Hängen seine positive Wirkung und hält den coracoacromialen Bogen (bestehend aus CAL und Schulterdach) geschmeidig. Wenn man dann irgendwann beschwerdefrei ist, so schreibt Kirsch, kann man das strikte Protokoll etwas auflockern und mit gelegentlichem Hängen 2-3x pro Woche fortfahren.


4. Weitere Ursachen von Schulterbeschwerden

Erwähnenswert ist auch, dass sich die Wissenschaft uneins darüber ist, ob die Verkleinerung des subacromialen Raumes oder eine schlechte Körperhaltung die wesentlichen Ursachen für ein subacromiales Schmerzsyndrom (SAPS) darstellen. Denn diese vermeintlich ursächlichen Faktoren scheinen bei beschwerdefreien Menschen ähnlich häufig vorzukommen, wie bei denen die Beschwerden haben die (4).

Eventuell ist der Ansatz nach einem Zusammenhang zwischen der Körperhaltung und Schulterschmerzen zu suchen aber in sich fehlerhaft. Denn dabei wird unterstellt, dass Menschen mit einer schlechten Körperhaltung, das gleiche Bewegungs- und somit Belastungsverhalten an den Tag legen, wie Menschen mit einer vermeintlich „guten“ Körperhaltung. 

Dabei erscheint es plausibel anzunehmen, dass ein Freizeitsportler aus einer Überkopfsportart vermutlich seltener eine schlechte Körperhaltung aufweist als ein Nichtsportler mit einem Schreibtischjob. Durch die hohe Beanspruchung kann es beim Überkopfsportler trotz seiner besseren Körperhaltung, im Vergleich zum Schreibtischarbeiter, zur Entstehung eines Schulterenge-Syndroms kommen. Andersherum kann der Büroarbeiter mit seiner Hyperkyphose beschwerdefrei bleiben, weil er sich eben nicht regelmäßig intensiven Überkopftätigkeiten aussetzt.

Ob ein Mensch ein Schulter-Impingement bzw. Subacromiales Schmerzsyndrom entwickelt hängt letztendlich neben der Körperhaltung noch von vielen weiteren Faktoren ab:

  • Bewegungsverhalten
  • Vorbelastungen & Vorverletzungen
  • Ermüdungszustand
  • Ernährungs- und Regenerationszustand
  • Motorische Kontrolle von komplexen Bewegungsabläufen
  • Passive und aktive Beweglichkeit des Schulterkomplexes
  • Passiv verfügbare und aktiv (muskulär) erzeugbare Stabilität des Schulterkomplexes
  • Biopsychosoziale Faktoren
  • Muskuläre Dysbalancen
  • Lebensalter und Trainingsalter
  • etc.

Eine gute Körperhaltung ist schwer einheitlich definierbar

Darüber hinaus ist bei den oben erwähnten Studien grundsätzlich problematisch, dass in den verschiedenen Untersuchungen „gute“ und „schlechte“ Körperhaltungen nicht einheitlich definiert wurden, was ehrlich gesagt auch relativ schwer realisierbar ist.

Unabhängig davon gehört es bei guten Fitness- und Personal Trainern glücklicherweise zum allgemein verbreitetem Wissen, dass Menschen mit einer schlechten Überkopfmobilität (u.a. bedingt durch einen Rundrücken) keine vertikalen Druckübungen ausführen sollten. Wird dies ignoriert, so sind kurz- bis mittelfristig Schulterbeschwerden vorprogrammiert.


5. Weitere Informationen zum Hängen

Weitere Hintergrundinformationen und bebilderte Erklärungen zum Hängen bei Schulterschmerzen gibt es in diesem YouTube-Video von mir:

Quellen:

(1) Gerber, C., Galantay, R. V., & Hersche, O. (1998). The pattern of pain produced by irritation of the acromioclavicular joint and the subacromial space. Journal of shoulder and elbow surgery, 7(4), 352-355.

(2) Chambler, A. F. W., Bull, A. M. J., Reilly, P., Amis, A. A., & Emery, R. J. H. (2003). Coracoacromial ligament tension in vivo. Journal of shoulder and elbow surgery, 12(4), 365-367.

(3) Kirsch, John. Shoulder Pain? The Solution & Prevention: Fitte Edition, Revised & Expanded. Lightning Source INC, 2019.

(4) Barrett, E., O’Keeffe, M., O’Sullivan, K., Lewis, J., & McCreesh, K. (2016). Is thoracic spine posture associated with shoulder pain, range of motion and function? A systematic review. Manual therapy26, 38-46.

17 Antworten

  1. Hallo, klingt alles logisch. Einzig, auf einem der Bilder wird seitlich gegriffen statt frontal (wie am Reck), Vorteile/Nachteile/egal? Und wirklich vollkommen lose hängen oder bewusst wie beim Ansetzen eines Klimmzuges die Schulterblätter runterziehen und Trapez usw anspannen? Danke.

    1. Hi Markus,

      ob seitlich oder frontal gegriffen ist fast egal. Der seitliche Griff ist für einige Personen mit Schmerzen manchmal etwas schonender. Ob lose oder aktiv hängt bei uns vom Bindegewebstyp ab. Feste hängen meistens passiv, wohingegen lockere Typen ein eher aktiveres Hängen ausführen sollen (aber im vollen ROM).

      Viele Grüße
      Wiktor

  2. Hi,
    wirklich interessant. Ich hatte eine Bizeps-Sehnen-Ansatzreizung rechts (1Jahr mit Krankengymnastik, dann wars wieder gut). Jetzt hab ich das gleiche an der linken Schulter und frage mich, ob Hängen hier helfen kann. Und eine Frage noch zur täglichen Dauer: 15 min Integral Hängen, oder 15 min trainieren incl. der Pausen dazwischen? Das ist mir nicht klar geworden.
    Grüße Claus

    1. Hallo Claus,

      Hänge könnte hier helfen, wenn deine Bizepssehnen-Reizung (ich nehme an du meinst die lange Bizepssehne) aufgrund einer Beweglichkeitseinschränkung Überkopf entstanden ist. 15 Minuten wären hier jedoch definitiv zu lang für den Anfang. Ich wünsche dir eine gute Besserung!

      Viele Grüße
      Wiktor

  3. Hallo! Wenn die lange Bizepssehne eingerissen ist, würde das eventuell trotzdem hilfreich sein, einen Op umzugehen?

    Viele Grüße: Andrea

    1. Hallo Andrea, so etwas kann man aus der Entfernung und ohne weitere Details zu kennen nur schwer beantworten. Sehr wahrscheinlich wird das Hängen in so einem Fall nicht schaden. Ob es aber hilft die OP zu umgehen, hängt von der Schwere des Schadens ab und ist grundsätzlich zweifelhaft. Aber es kann u.U, dennoch den Stress von der Bizepssehne nehmen (kommt auf die Ursachen des Bizepssehnenanriss an). Beste Grüße und gute Besserung, Wiktor

  4. Hallo,
    wie sieht es denn bei degenerativen Schulter Arthrose aus. Ist es möglich die Schulter durch das Hängen zu entlasten?
    Gruß Lars

    1. Hallo Lars, hierzu sind mir keine speziellen Studien bekannt. Bei Arthrose wird aber allgemein Bewegung in einem möglichst großen Bewegungsradius empfohlen. Ich würde mich daher vorerst, ohne mit dem gesamten Körpergewicht auszuhängen, vorsichtig in die Position gehen und mich langsam herantasten. Übrigens: Beim Hängen erfährt das Schultergelenk keinen Druck sondern Zug. Der Knorpel erfährt daher in der Regel keine nennenswerte Belastung.

  5. Hallo Wiktor, bin über die Suche nach Übungen gegen Rundrücken auf deiner Seite gelandet. Habe mir auch schon einige Videos angesehen. Gefallen mir sehr gut. Hab deinen Kanal gleich abonniert.

    Jetzt eine Frage zur Ausführung. Ich habe leider in meiner Wohnung nur Platz für eine im Türrahmen eingehängte Klimmzugstange. Das bedeutet, dass ich meinen Körper nicht in voller Länge aushängen kann. Ist es genauso effektiv wenn ich die Beine an den Oberkörper heranziehe und so abhänge?

    Vielen Dank!

  6. Hallo Wiktor,
    ich habe seit mehr als vier Monaten starke Schmerzen in der linken Schulter. Die Diagnose: Rotatorenmanschettenläsion links.
    Verstehe ich dich richtig? Hängen kann dieses Problem nicht weiter verstärken, sondern ist vielleicht sogar eine Chance, die Schmerzen loszuwerden? Wenn ich versuche, zu hängen, habe ich anfangs erhebliche Schmerzen (Schmerzskala 8). Nach dem Hängen geht der Schmerz relativ schnell wieder weg. Allerdings ist bislang keine Besserung des Gesamtzustands eingetreten. Ich bin weiterhin in meinen Bewegungsmöglichkeiten sehr eingeschränkt (Überkopf- und Rotationsbewegungen).

    Würdest du mir empfehlen, weiterzumachen?

    1. Hallo lieber Armin,

      durch Hängen wird laut den Erkenntnissen und Beschreibungen von Dr. Kirsch das Coraco-Acromiale-Ligament weicher und nachgiebiger, wodurch bei Überkopfbewegungen weniger Reibung der umgebenden Strukturen provoziert wird. Dadurch kann einer weiteren Beschädigung der Rotorenmanschette (insb. Supraspinatussehne) entgegengewirkt werden, wobei beim Hängen selbst kein Stress auf die Rotatorenmanschette wirkt. Es gibt aber viele weitere Faktoren die sich auf deine Überkopfbeweglichkeit auswirken und die begleitend ebenfalls optimiert werden sollten.

      Viele Grüße
      Wiktor

  7. Hallo, wie ich auf Röntgenbildern deutlich sehen konnte, hat sich mein Akromion beidseitig leider schon ganz deutlich nach unten gebogen, und habe insbesondere rechts die letze Zeit über fast ständig Impingement-Schmerzen u. entsprechend Flüssigkeit/Entzündung (bin 50 Jahre, gehe aber noch begeistert ins Gym, und würde so gerne wieder schmerzfrei z.B. Brust trainieren können). Wäre auch für mich das Hängen ‚the way to go‘, oder ists bei z.B. starker Ausprägung des nach unten gebogenen Akromions quasi zu spät ?

    (Habe schon Statements zum Aushängen gehört, die behaupten man verschlimmere das Problem damit nur, das macht mir Angst.)

    1. Hallo Brad, wie im verlinkten Buch von Dr. Kirsch beschrieben wird, ist es nie zu spät für das Hängen. Falsches Brusttraining (z.B. Langhantel-Bankdrücken) kann die Problematik aber durchaus verschlimmern.

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