Chronische Schmerzen: Warum Dehnen oft mehr schadet

Rumpfbeuge Beweglichkeitsmessung der Wirbelsäule mit Goniometer

Chronische muskuloskelettale Schmerzen in Form von Verspannungen, Verhärtungen und faszialen Reizungen sind sehr weit verbreitet. Oft werden Dehnungen hier als universelles Heilmittel gegen Muskelverspannungen angesehen, doch ist das wirklich der richtige Ansatz?

Was sind Muskelverspannungen und wie entstehen sie?

Muskelverspannungen sind ein Zustand, in dem die Muskulatur dauerhaft angespannt ist und dadurch in diesem Zustand förmlich verhärtet. Das verursacht oft Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Die Ursachen für schmerzhafte Muskelverspannungen können dabei vielfältig sein: Sie können durch Stress, eine schlechte Körperhaltung, eine ungewohnte körperliche Aktivität, Fehlbelastungen oder durch chronische Erkrankungen entstehen.

Nur in seltenen Fällen liegt schmerzhaften Muskeln eine strukturelle Muskelverkürzung zu Grunde, die mit einer Dehnung sinnvoll zu adressieren wäre. Das kann man auch daran erkennen, dass sich schmerzhafte Muskelverhärtungen als hartnäckig erweisen und trotz regelmäßigen Dehnens nicht dauerhaft verschwinden. Typisch ist in vielen Fällen jedoch eine kurzfristige Linderung von wenigen Minuten oder Stunden, die durch eine intensive Dehnung erreicht werden kann. Wenn dir das auch bekannt vorkommt, kann es sein, dass die Ursache deiner Verspannung tiefer liegt und zumindest langfristig nicht nur durch alleiniges Dehnen gelöst werden kann.

Dehnübungen: Ein Teufelskreis?

Oft fühlen sich Menschen mit Muskelverspannungen in einem Teufelskreis gefangen. Sie versuchen, ihre Verspannungen durch intensives Dehnen zu lösen, doch die Verspannungen kehren immer wieder zurück. Das kann dazu führen, dass sie noch mehr dehnen, in der Hoffnung, das Problem endlich in den Griff zu bekommen.

Das Problem dabei ist, dass übermäßiges Dehnen den Muskel zusätzlich beanspruchen und so sogar zu weiteren Verspannungen führen kann. Besonders wenn die betroffene Person von Natur aus überdurchschnittlich beweglich ist, kann dieses intensive Dehnen mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Deshalb kommen Dehnungen bei uns im Personal Training immer nur auf Grundlage einer fundierten Bewegungsanalyse zum Einsatz. Schließlich erscheint nur bei einem tatsächlich verkürzten Muskeln, die Annahme plausibel, dass dieser Muskel kausal für bestimmte Beschwerden verantwortlich sein könnte.

Überbeanspruchung und Schwäche: Ein tieferliegendes Problem

Es kann sein, dass ein Muskel, der schmerzhaft verspannt ist, auf den ersten Blick einfach nur verkürzt wirkt. Der wahre Grund für die Verspannung könnte aber in einer Überbeanspruchung und Schwäche des Muskels liegen. Wodurch sich eine echte Muskelverkürzung kennzeichnet, erfährst du übrigens in diesem Blog: Muskelverkürzungen – Können Muskeln wirklich verkürzen?

Testung der Hüftbeuger Beweglichkeit in Rückenlage (Thomas Test), um herauszufinden ob eine Dehnung bei chronischen Schmerzen helfen kann
Vor dem Dehnen solltest du deine Muskeln zuerst auf eine mögliche Verkürzung testen, bevor du sie pauschal dehnst.

Ein überbeanspruchter und schwacher Muskel kann sich verhärten und verspannen, als Reaktion auf die erhöhte Belastung. Wir alle kennen dieses Gefühl: Bei längeren Wanderungen oder intensiven Sporteinheiten können unsere Muskeln schon mal schmerzhaft verspannen und verhärten. Das ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf die erhöhte Belastung.

In solchen Fällen ist Dehnung nicht die Lösung gegen die eigentliche Ursache des Problems: Schwäche bzw. eine verminderte Belastungskapazität. Dehnen kann hier dennoch wirksam bei der kurzfristigen Linderung der Symptome eingesetzt werden. Will man aber langfristig Herr der Lage werden, sollte man es nicht nur beim Dehnen belassen. Stattdessen würde es zielführenden sein, den Muskel zu stärken und seine Belastungsfähigkeit zu verbessern. Übungen zur Stärkung der Muskulatur und zur Verbesserung der Haltung können hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Relative Spannungsverhältnisse und Bewegungsmuster: Eine häufig übersehene Ursache bei chronischen Schmerzen

Ein weiterer Grund für chronische Schmerzen in Form von Muskelverspannungen kann in den relativen Spannungsverhältnissen benachbarter Muskeln zueinander und unökonomischen Bewegungsmustern liegen. Bewegungen folgen in der Regel dem Pfad des geringsten Widerstandes und oft tut das weh, was sich am meisten bewegt.

Ein Ungleichgewicht in den Bewegungsmustern und Spannungsverhältnissen des Körpers kann dazu führen, dass einige Muskeln überlastet werden, während andere unterfordert sind. Auch in solchen Fällen kann Dehnen nicht das gesamte Problem lösen. Stattdessen könnte ein umfassender Ansatz, der auch Kräftigungsübungen und Bewegungsschulungen beinhaltet, hier zielführender sein. Im verlinkten Video wird das in der 4. Minute am Beispiel der Rumpfbeuge gezeigt:

Dehnen und das Nervensystem: Ein Schleier für den wahren Schmerz?

Dehnen übt einen sehr intensiven Reiz auf das Nervensystem aus. Es kann die Wahrnehmung von Schmerzen beeinflussen und sogar dazu führen, dass andere Schmerzen überlagert werden. Wenn ein Muskel dauerhaft überdehnt wird, kann das deshalb dazu führen, dass der eigentliche Grund für die Schmerzen nicht mehr wahrgenommen wird.

Ein individueller Ansatz gegen chronische Schmerzen und Verspannungen

Die wohl wichtigste Erkenntnis aus all diesen Informationen ist, dass Dehnen – entgegen der weit verbreiteten Auffassung – nicht immer die Lösung für fast alle Muskelschmerzen ist. Stattdessen ist es wichtig das zugrunde liegende Problem zu erkennen. Deshalb solltest du individuell vorgehen und deine individuellen Ausgangsbedingungen hinsichtlich Kraft, Beweglichkeit, Körperhaltung und Bewegungsmustern berücksichtigen.

Ein solcher Ansatz könnte beispielsweise eine individuell angepasste Kombination aus Dehnungsübungen, Kräftigungsübungen und Bewegungsschulungen umfassen. Hierfür ist unserer Meinung nach eine umfassende Anamnese und Bewegungsanalyse unersetzlich. Außerdem stellen wir immer wieder fest, wie wichtig es ist die Lebensgewohnheiten und insbesondere die Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten zu überprüfen und diese gegebenenfalls zu verändern.

Bedenke bei jeder Veränderung, dass der Körper und das Nervensystem Zeit benötigen, um sich an neue Bewegungsmuster anzupassen und sich von vergangenen muskulären Überbelastungen zu erholen. Geduld und Konsistenz sind daher auch hier der Schlüssel für eine erfolgreiche Behandlung von chronischen Schmerzen und schmerzhaften Muskelverspannungen.

Zusammenfassung

Die Behandlung von chronischen Schmerzen und Muskelverspannungen erfordert oft mehr als bloßes Dehnen. Es ist wichtig, die zugrunde liegenden Ursachen zu verstehen und einen individuellen Ansatz zu verfolgen, der die individuellen Ausgangsbedingungen und Beschwerden adressiert.

In vielen Fällen ist eine Kombination aus Dehnungsübungen, Kräftigungsübungen und Bewegungsschulungen am wirksamsten. Da jedoch jeder Mensch individuell ist, sollte auch die Herangehensweise individuell angepasst werden. Ein guter Physiotherapeut oder Personal Trainer kann dabei helfen einen individuellen Plan zu erstellen und auf die persönlichen Bedürfnisse einzugehen.

Systematisches Vorgehen gegen muskuläre Dysbalancen

Wenn du mehr über muskuläre Dysbalancen als mögliche Ursache von chronischen Muskelschmerzen und Verspannungen erfahren möchtest, empfehle ich dir mein 360° Mobility Online-Programm. Dabei gehe ich sehr strukturiert vor und zeige dir, wann bestimmte Übungen sinnvoll sind und welche Tests du durchführen kannst, um festzustellen, welche Übungen für dich geeignet sind. Ich helfe dir dabei, gezielt etwas gegen deine Beschwerden zu unternehmen, falls sie mit Muskelverkürzung oder Muskelschwäche zusammenhängen

In meinem Programm lege ich keinen Fokus auf extrem intensive Dehnübungen. Vielmehr geht es darum, eine normale Beweglichkeit herzustellen. Sobald diese Beweglichkeit erreicht ist, ist es wichtig, sie auch mit Kraft zu unterstützen. Denn ein muskuläres Gleichgewicht ist entscheidend für langfristige Beschwerdefreiheit.

Wiktor Diamant

Wiktor Diamant

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